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Sonntag, 19. Oktober 2014

Unfrisierte Erinnerungen Teil 1






Im April 1990, kurz nach dem Fall der Mauer sucht beinahe jeder sein Glück im anderen Teil der Republik.
In Ostdeutschland ist man auf der Suche nach Jobs und westdeutsche Firmen erhoffen sich einen riesigen Markt im Osten.
So auch eine große Kosmetikfirma, die dort ihren Bekanntheitsgrad ausdehnen will. Zur Vermarktung ihrer Haarpflege-Produkte engagiert sie den süddeutschen Friseurverband.
Mein Friseur Ralf ist natürlich auch mit von der Partie, da er sich durch diverse Preise einen Namen erworben hat. Ich habe mich für ihn schon des öfteren als Frisuren-Model zur Verfügung gestellt, deshalb werde ich gleich mit engagiert.

Frühmorgens erwartet uns ein super moderner Luxusbus, bereits besetzt mit wichtigen Leuten aus dem Management der Innung und der Kosmetikfirma, ein paar Jungfriseuren und noch mehr Models.
Etwas schläfrig, und von der Bus-Disco berieselt fahren wir gen Osten.
Erst als sich die Landschaft in ein sattes Grau verwandelt, bemerke ich, dass wir den Westen verlassen haben. Bald ragen aus dieser Ödnis überraschend weiße Flaggen mit roter Aufschrift - „Toyota“ war schon vor uns da und je näher wir Leipzig kommen, desto mehr Autofirmen begegnen uns. Bei der bislang chronischen Unterversorgung, erhoffen sie sich einen riesigen Boom.
Unser Bus scheint ungewöhnliche Aufmerksamkeit zu erregen. Als wären wir Pop-Stars, stehen Menschen am Straßenrand und winken uns zu. Das Gefühl, so freundlich empfangen zu werden, ist einerseits überwältigend, andererseits einigermaßen irritierend. Womit haben wir uns das verdient? Heißt man uns als Gäste willkommen, oder als Botschafter der lang ersehnten Konsumgüter?
Auf dem Weg zu unserem Auftrittsort fahren wir durch die Innenstadt von Leipzig. Mit ihren alten Gebäuden wirkt sie sehr beeindruckend. Wenn nur nicht alles von diesem Grau überzogen wäre, hervorgerufen durch den Ausstoß der Braunkohle-Heizungen.
Noch ist auf den Gehwegen vor einigen Kellerfenstern Braunkohle aufgehäuft und wartet darauf, in die Keller befördert zu werden.

Bevor wir der Stadt etwas bieten, werden wir zum Essen eingeladen. In ein großes Speiselokal in dem zu seiner Zeit Staatssekretär Honecker bei seinen Besuchen zu dinieren pflegte. Das Lokal besitzt die nüchterne Atmosphäre einer Bahnhofshalle, ist aber durch unzählige kleine Lampen an der Decke hell erleuchtet. Die Kellner, an den Umgang mit prominenten Gästen gewöhnt, sind flink, devot und zu keinem Lächeln bereit.
So verwöhnt, brechen wir auf, um in einem Rundbau in der Innenstadt das Abendprogramm zu gestalten. Bei unserem Eintreffen sind alle noch mit den Vorbereitungen beschäftigt.
Bevor sich der Saal füllt, wird noch eifrig geputzt.
Das Interesse ist überwältigend. Der Saal ist bald bis zum letzten Platz besetzt.
Ralf beginnt die Schere zu schwingen. Haare fliegen während er erklärt und seine kleinen Anekdoten und Witze erzählt. Der Föhn summt, es wird toupiert und zuletzt verschwindet die ganze Pracht in einem Nebel von Haarspray. Ich präsentiere das Kunstwerk auf der Bühne von allen Seiten. Die anderen Models gesellen sich mit ihren Kreationen dazu und das Publikum applaudiert mit großer Begeisterung.
Der größte Teil des Abends wäre somit bestritten. Ganz zum Schluss ist noch ein „Lambada“, von uns getanzt vorgesehen, auf besonderen Wunsch von ein oder zwei reiferen Herren vom Management. Aber zuvor steht noch eine musikalische Einlage von Musikern des Gewandhaus-Orchesters auf dem Programm.
Man stelle sich vor, da kommen ein paar Friseure mit ihren Modellen aus der Provinz und treten zusammen mit dem weltberühmten Gewandhaus-Orchester auf!
Bei den Klängen einer Komposition von Bach herrscht andächtige Stille. Wir sind überwältigt. Erfüllt von diesem wunderbaren Konzert möchte man im Anschluss nur nach Hause gehen und den Nachhall genießen.

LAMBADAAAA !!!
In unseren pinkfarbenen Röckchen und den knappen Oberteilen sind wir an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Jeder von uns spürt dies, aber da die Organisatoren es sich so wünschen, muss die Show weitergehen.
Vielleicht hält man uns nun im Osten für Banausen ohne Kunstverstand.


Teil 2 und 3 im Anschluß!


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