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Sonntag, 16. Juli 2017

RUHESTAND







Er sei wohlverdient,der Ruhestand, hört man oft, was auf ein langes Arbeitsleben im Hamsterrad der Geldmaschinerie durchaus zutrifft.
Teilweise wird auch die Zeit bis zur Rente oder Pensionierung auf dem zwangsläufig immer breiter werdenden Hintern einfach nur abgesessen.

Aber wie gestaltet man die neu erworbene Freiheit?
Den Traum vom Reisen um den Globus, können sich gesundheitlich und finanziell nur wenige erlauben, deshalb sieht man als Alternative überall Rentner in gedecktem Beige stöckelnd die nähere Umgebung erkunden.

Für mich kam dieser Lebensabschnitt etwas früher, als ursprünglich geplant, weshalb ich diesbezüglich auch keine großen Pläne geschmiedet habe.
Vorerst genieße ich es noch, mir die Tage nach Lust und Laune einteilen zu können. Zwar habe ich mir eine gewisse Struktur auferlegt, aber falls ich morgens doch mal länger schlafen sollte, meckert nur mein Fitness-Tracker: „Sie sind heute nicht sehr aktiv!“
Bewegung entfernt den Rost aus den Gelenken. Mit diesem Wissen werde ich normalerweise selbst aktiv. Ansonsten können alle Hähne so lange krähen, wie sie wollen, ich werde nirgendwo erwartet.

Nach nur einem halben Jahr, verspüre ich allerdings eine geistige und kreative Verstopfung. Diese Unterforderung versuche ich mit Lesen auszugleichen.
Zugegeben, dies ist ein Luxusproblem, wenn ich sehe, wie sich andere schinden: Ein 69jähriger saniert noch kniend Flachdächer, oder ganz Alte mit leichter Gehbehinderung tragen sonntags Zeitungen und Prospekte aus. Mühsam ziehen sie den Wagen der Verteilerfirma hinter sich her, wo früher Schüler auf ihren Inlinern durch die Gegend flitzten, um ihr Taschengeld aufzubessern.

Die Möglichkeit, farblose Klamotten farblosen Menschen zu verkaufen, ist für mich keine Option. Die Gefahr, in eine Depression zu verfallen ist nicht auszuschließen.
Alternativ drängt sich das Internet mit Jobs unter dem Slogan „Verkaufe Produkte von zu Hause!“ richtiggehend auf. Wo früher in Heimarbeit Kugelschreiber zusammengeschraubt wurden, vertreibt man heute Waren anspruchsvoller über Social Media.
Man stelle sich vor, wie ich mich bisher mit meinen Facebook-Freunden über soziale Themen unterhalten habe und plötzliche versuche ich sie davon zu überzeugen, dass ihr Glück von einem bestimmten Nagellack abhängt.
Statt einer Provision hätte ich sehr schnell weniger Kontakte.

Wer uns als Zielgruppe mit zunehmendem Interesse verfolgt, ist die Werbung. Aufgewachsen mit Frau Clementine und HB-Männchen, werden wir durch die neue Werbeflut eher immunisiert, als zum Kauf angeregt. Deshalb locken verschiedene Institute mit gezielten Meinungsumfragen, die mit kleinen Geschenken honoriert werden, um herauszufinden, mit welchen Mitteln man uns doch noch um unser Erspartes bringen kann.

Eine geistige Herausforderung wäre ein Trend, der momentan ein begeistertes Publikum findet: Die Autobiographie. - Eine Art Big Brother für Intellektuelle.
Besteht wirklich ein Interesse an solch einer seelischen Diarrhoe?
Soll ich tatsächlich nochmals in alle Niederungen hinabsteigen und sie ein zweites Mal durchleben?
Vielleicht wäre es besser, die Vergangenheit zu einem Bündel zu verknoten und anzuzünden.

Morgen mach' ich mir weitere Gedanken.
Jetzt mit einem Cocktail im Liegestuhl zu sitzen und die Seele baumeln zu lassen, kann nicht schaden. Morgen ist auch noch ein Tag.




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