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Dienstag, 15. Oktober 2013

Zwei Welten




Haltestelle. Die Türen der S-Bahn öffnen sich, Menschen steigen ein. Sie sind auf dem Weg zur Arbeit, zur Uni, oder wollen einfach nur verreisen.
Kurz bevor sich die Türen wieder schließen, schlüpft ein gutaussehender junger Mann gerade noch durch. Mit seinen schwarzen Haaren, und dem etwas dunkleren Teint, denkt man an einen Südländer. Kaum setzt sich die Bahn in Bewegung, zieht er aus dem Stoffbeutel, den er über der Schulter trägt, eine Geige und setzt sie an sein Kinn.
Melancholisch, dann wieder schwungvoll oder traurig klingen die Töne, die er aus diesem Instrument lockt, fast zum Weinen schön. Im Gegensatz zu dem Geplärre, das sich von allen Seiten aus den Ohrstöpseln der Mitfahrer aufdrängt.
Kurz vor der nächsten Haltestelle kommt die Geige wieder in den Beutel und der Musiker geht mit einem Plastikbecher durch das Abteil. Nur sehr wenige werfen Geld  hinein. Eine Organisation soll dahinter stehen, die diesen bedauernswerten Menschen alles wieder abnimmt.
Kaum geht die Türe auf, verschwindet er auch schon wieder nach draußen.

Im Tiefbahnhof, kurz bevor es mit der Rolltreppe nach oben geht, ist ein Mann an den Recycling-Containern auf der Suche nach Pfandflaschen. Er trägt einen etwas schäbigen Anzug und eine Aktentasche. In der Hoffnung seine Würde zu bewahren, schielt er verstohlen in die Öffnungen für Glas- und Plastikabfall.
Oben, in der Passage angekommen, empfängt mich der Zeitungsverkäufer mit seiner raumfüllenden Stimme "Trottwar, die Straßenzeitung!" Zuerst in einer höheren Tonlage beginnend, verfällt er in der zweiten Satzhälfte in einen tiefen Bass. Als sichtbare Legitimation seiner Tätigkeit, trägt er eine rote Weste, vorne und hinten mit der Aufschrift "Trottwar!". Durch den Verkauf dieser Zeitschriften, wird ihm ein menschenwürdiges Leben, weg von der Straße und dem Alkohol ermöglicht. Die Einzelschicksale, über die in diesem Blatt berichtet werden, machen betroffen.
Die Passage bietet das übliche Angebot: Kaffee, Gebäck, Fast Food und Zeitungen, und nach ein paar Schritten erreicht man auch schon das Freie.
Am Ausgang, gerade so, dass er bei Regen noch im Trockenen sitzt, kauert ein älterer Bettler auf einem Hocker. Tag für Tag, bei Hitze oder Minusgraden, immer den rechten Arm versteckt und den Blick nach unten gesenkt.Warscheinlich erkennt er die Passanten an ihren Schuhen. Sobald ein Geldstück in seinen Becher fällt, bedankt er sich mit einem leisen 'Danke'.

Neuerdings hat ein Schachspieler, noch im Schutz der Passage Position bezogen. Ein Osteuropäer, vermute ich. Von den drei Bierkisten, die er umgedreht vor sich aufgebaut hat, ist eine mit einem Schachbrett belegt, eine dient für ihn als Sitzplatz, und die dritte ist wohl für einen eventuellen Mitspieler bestimmt. Vielleicht spielt er selbst eine bekannte Partie nach. Davor liegt eine Schale mit Münzen.
Es bleibt abzuwarten, wie lange er hier bleiben kann.

In der Fußgängerzone kniet einer dieser ganz armen Teufel auf dem Pflaster. Tief gebeugt hält er die bloße Hand auf. Bei Regen darf er sich wenigstens eine Kapuze über den Kopf ziehen. Dies ist die schlimmste Form der Ausbeutung!

Ich befinde mich in einer reichen Stadt. Sie wirkt sauber und aufgeräumt. Die Schmuddelecken, in denen sich sonst die unterste gesellschaftliche Schicht aufhält, findet man nicht auf den ersten Blick. Deshalb sind diese Menschen beinahe unsichtbar, weil sie in dieser Umgebung sogar noch ordentlich wirken. An Elend denkt man nicht sofort.

Nur noch durch die Fress-Gass, vorbei an einer alten Frau auf einem Camping-Klappstuhl, die jeden freundlich grüßt, solange der Menschenandrang noch überschaubar ist. Sie hat einen guten Platz, und mit ihrem freundlichen Lächeln, gewinnt sie sicherlich die Herzen der Passanten.

Dann bin ich angekommen, in meiner Glitzerwelt, ein Haus voll Luxus und Schönheit. Das genaue Gegenteil zu der Welt da draußen.
 Hier drin verkaufe ich Aufmerksamkeit und ein bisschen Glück - soweit man dies für Geld bekommen kann.


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