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Sonntag, 23. August 2015

AVATARE





Avatare schwirren durch den virtuellen Raum.
Blutleere, gesichtslose und stumme Wesen mit synthetischen Charakteren auf der Suche nach einem echten Menschen, um sich für einige Zeit dort anzudocken.

Reale menschliche Wesen ohne echte Gefühle konstruieren sich eine Identität und verbergen sich hinter diesem zweiten Gesicht. Luftschlösser werden gebaut, um dem eigenen kleinen Ego Größe zu verleihen und wie in dem Märchen von Hase und Igel ist es ihnen möglich, sich gleichzeitig auf verschiedenen Kontinenten aufzuhalten.

Manchmal aber suchen sie sich ein menschliches Gefühl, wozu sie selbst unfähig sind und sobald sie diesen realen Charakter ausgesaugt haben, ziehen sie sich wieder in ihr Nirwana zurück auf der rastlosen Suche nach einem neuen Opfer.


Freitag, 7. August 2015

DEKADENZ





Zähfließend, wie klebriger Sirup verrinnt die Zeit.
Bis zum Horizont scheint das Meer glatt und unbeweglich und nur durch den Bug der weißen Luxus-Yacht wird es durchschnitten. Außer dem monotonen Schlagen der Wellen gegen die Bordwand herrscht Stille.
Trägheit breitet sich aus unter der sengenden Sonne. Eine leichte Meeresbrise macht die Luft kaum erträglicher.

Frank lässt sich den zweiten doppelten Whisky auf Eis an seinen Deck-Chair servieren, während er selbstzufrieden seine Uhrensammlung betrachtet. Dreißig Wunder der Feinmechanik und jedes Teil findet seinen Platz in einem eigens dafür angefertigten, mit Samt ausgeschlagenen Koffer.
Der Alkohol legt sich allmählich wie eine Dunstglocke über seinen Kopf und lässt die Bewegungen in der Hitze schwer werden.

Am Pool räkelt sich Carla auf einem Day-Bed. Schön, wie eine griechische Göttin. Ihr langes, weißes Kleid wird von goldenen Spangen gerafft und ist bis zur Hüfte geschlitzt. Obwohl schon Ende Fünfzig und damit ein paar Jahre jünger als Frank, scheint sie sich, dank moderner Chirurgie die ewige Jugend erkauft zu haben.

Sam, der dunkelhäutige, kubanische Steward stellt neben ihr einen Kühler mit einer Flasche Champagner auf das Deck und reicht Carla ein gefülltes Glas. Seine Muskeln zeichnen sich unter dem dünnen Hemd ab, als wären sie aus Stein gemeißelt.
Angewidert schüttet sie den Inhalt ihres Glases in den Pool. „Der Geschmack langweilt mich, was finden bloß alle so besonders daran?“
Überhaupt empfindet sie nur noch unerträgliche Langeweile auch gegenüber Sam, der für ein paar Scheine jeden Service bietet, während Frank sich von zwei Thai-Mädchen verwöhnen lässt.

Diese Yacht war der große Traum und das letzte gemeinsame Ziel, das sie nach all ihren Immobilien anstrebten.
Zwei Luxusgeschöpfe in einem goldenen Käfig und sie haben sich nichts mehr zu sagen. Dabei haben sie sich einmal geliebt.