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Sonntag, 7. Januar 2018

DIE FRAU UND IHR FRISEUR







Mit Preisen schon in jungen Jahren hochdekoriert, eröffnete Friseurmeister Heinz einen Salon für Damen und Herren. Während der Hippie-Bewegung, Anfang der 70er bedurfte es dazu einer großen Portion Optimismus, denn man gestand den Haaren beiderlei Geschlechts dieselbe Freiheit zu, für die wir damals kämpften. Alles sprießte unkontrolliert vor sich hin und ein gepflegter Haarschnitt entlarvte den Spießer.

Irgendwann entdecke ich, an meiner bis zur Taille reichenden Mähne weiße Spitzen – Spliss. Um den Rest zu retten, betrete ich nach ein paar Jahren Abstinenz eben diesen Salon.
Wirklich nur die kaputten Spitzen sollen abgeschnitten werden, also nicht mehr als ein halber Zentimeter. Zu meiner Beruhigung wird mir erklärt, es gäbe eine bessere Methode, als zu schneiden – man brennt die kaputten Spitzen ab.
In einer langwierigen Sitzung wird von einer jungen Friseurin Strähne für Strähne abgeteilt und eng gedreht. Die abstehenden Haarenden brennt man mittels einer Kerze ab. Sie versteht ihr Handwerk, aber vielleicht fraß sich die Flamme bei einer Kundin unkontrolliert weiter. Jedenfalls wird diese Methode heute nicht mehr angewandt.

Die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Mode. Allmählich legt man wieder Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Angesagt sind nun wallende Mähnen mit geföhnter Außenwelle, nach dem Vorbild von Farrah Fawcett, einem der Engel für Charlie.
„Ohne Dauerwelle hält das bei dir nicht“, holt man mich umgehend in die Realität zurück. Aber so schnell gebe ich nicht auf und lasse mich zu einer 'leichten' Dauerwelle überreden. Die ist allerdings noch nicht erfunden und das Ergebnis entsprechend schrecklich. Statt großzügiger Wellen kringeln sich auf dem ganzen Kopf lauter Schmalzlocken.
Kurz zuvor lernte ich meinen zukünftigen Ehemann kennen und befürchte, bei diesem Anblick könne er das Weite suchen. Also, weg mit den Locken und hin zu einer schulterlangen Fönfrisur mit Innenrolle! - Ein Klassiker, der noch heute die Köpfe von Mireille Mathieu und einem deutschen Schlagersänger ziert.
So klappt es dann auch mit der Hochzeit.

„Es gibt jetzt eine ganz neue, schonende Dauerwelle. Man lässt hinterher die Haare nur noch an der Luft trocknen, ohne Föhn und Wickler“, macht mir Heinz diese neue Technik schmackhaft. Immer offen für Neues, lasse ich mich überreden und nicht nur ich bin vom Ergebnis begeistert.
„Beim Stadtfest wird auf dem Marktplatz ein Podest aufgestellt, auf dem ich die neuen Frisuren präsentiere, dabei möchte ich diese neue Dauerwelle vorstellen. Machst du mit?“
Als introvertierte, junge Frau und voller Selbstzweifel, denke ich sofort an Flucht.
„Du musst nur auf einem Stuhl sitzen, während ich dich frisiere. Danach stehst du auf und drehst dich einmal. Das ist alles!“
Mein Widerstand schwindet langsam und allmählich bin ich bereit, mich der Herausforderung zu stellen.

Etwas unsicher steige ich die Stufen zum Podest hoch und stelle gleichzeitig entsetzt fest, was die Ehe aus mir gemacht hat. Früher trug ich die verrücktesten Klamotten und die kürzesten Röcke und jetzt … Rock und Bluse!
Alles wird unter einem Umhang versteckt und die Blicke des Publikums saugen sich an mir fest.
Bald ist alles vorbei und ich überstehe diese Zurschaustellung ohne seelischen Schaden . Der warme Applaus macht mich sogar ein bisschen stolz.

Am selben Abend noch, lädt mich Heinz ein, drei Wochen später bei einer Schulung in Karlsruhe zusammen mit ein paar anderen jungen Frauen Modell zu sitzen. Ein Kosmetikkonzern organisiert diese Veranstaltung. Wir bekommen dafür sogar ein Outfit gestellt, um ein einheitliches Bild zu präsentieren. Der Sorge, wie ich meinen Hausfrauen-Look loswerde, bin ich also enthoben.
Die Anzahl der Plätze in den Schulungsräumen ist begrenzt, außerdem ist diese Veranstaltung nur für ein geladenes Fachpublikum. Interessiert wird verfolgt, welches hervorragende Ergebnis man mit der neuen Dauerwelle, oder den Colorationen dieser Firma erzielt.

Es folgen noch viele Veranstaltungen. Meistens vor Fachpublikum in kleinen Städten mit kleinen Veranstaltungsräumen, oder in großen Städten, wie Frankfurt oder Düsseldorf vor großem Publikum. Kreuz und quer ziehen wir als geschlossene Truppe, mit mehreren Frisuren-Modellen durch Süddeutschland. Dabei wird viel gelacht, weil Heinz immer einen Witz oder flotten Spruch auf Lager hat und es entstehen Freundschaften über viele Jahre.
Ich verfüge über einen schnell nachwachsenden Rohstoff, wohl deshalb werde ich in kurzen Abständen immer öfter engagiert und zudem weicht meine rote Naturhaarfarbe vom beliebten Blond ab. Heinz schätzt außerdem, dass ich ein ordentliches Maß an Geduld mitbringe, ohne zu zicken oder in Tränen auszubrechen, wenn ich einen ausgefallenen, modischen Haarschnitt verpasst bekomme.
Ich lerne bald, wie man sich professionell auf einem Laufsteg bewegt (lange, bevor 'unsere' Heidi dies der Nation zeigt). Richtige Shows mit Tanzeinlagen werden einstudiert. (Meine jahrelange Tanzausbildung erweist sich so doch noch als sinnvolle Investition.) Das Publikum ist begeistert, obwohl mit einigem Abstand betrachtet, wirkt die Darbietung eher etwas selbstgestrickt. Die Frisuren dagegen, zeugen von hoher Professionalität und Heinz ist nicht nur ein Meister an der Schere, sondern versteht es auch, Menschen zu unterhalten.
Zwei Stunden dauert es, um mit vier Händen einem Mädchen die vielen Zöpfchen zu flechten, mit denen Bo Derek in die Filmgeschichte eingeht. Im großen Saal der Stuttgarter Liederhalle wird dieses Werk auch gebührend beklatscht.
Im Gegensatz zu vielen Menschen, habe ich das Fernsehen nie gesucht – es hat mich gefunden. Im Frühjahr und im Herbst werden wir fürs Regionalprogramm gefilmt, um die aktuellen Trends zu zeigen. Abends wartet man gespannt vor dem Fernseher, wie viele Schnipsel von einem Drehtag übrig geblieben sind.

Die Selbstzweifel bleiben, aber ich lerne sie zu verdrängen. Das Leben ist leicht und trotz Job und Familie vergehen dreizehn Jahre als eine einzige Party.

Mit Ende dreißig ist der Zenit eigentlich längst überschritten. Unsere feste Truppe gleichaltriger Modelle löst sich nach und nach auf. Man kommt sich auch irgendwie albern vor, wenn die nachrückenden Mädchen zwanzig Jahre jünger sind als man selbst.
Zum Abschluss gibt es aber noch ein besonderes Highlight. Kurz nach der Maueröffnung organisiert der Kosmetikkonzern, für den wir werben zusammen mit der Innung Veranstaltungen in Leipzig, Chemnitz und Dresden. Die Segnungen des Kapitalismus sollen nun auch den Osten beglücken.
Es ist ein großartiges Gefühl, mit weit geöffneten Armen, von einem hungrigen Publikum empfangen zu werden, das sich für unser berechnendes Marketing noch sehr aufgeschlossen zeigt.
Trotz des etwas unguten Gefühls, das mich beschleicht, ist es ein unvergessliches Erlebnis.


Die Party ist vorbei und das Leben belädt mich mit einem Rucksack, den das Schicksal nach und nach befüllt. Auch Heinz muss ein paar Schläge einstecken. - Nichts ist mehr so leicht, wie es einmal war.
Das Gewicht meines Rucksacks nimmt über die Jahre zu und manchmal wird diese Last so schwer, dass man meint, sie nicht mehr alleine tragen zu können. Ein Therapeut würde allein fürs Zuhören Geld verlangen. Ich habe meinen Friseur. Er hört mir zu. Freiwillig und nicht nur, weil ich ihm ausgeliefert bin. Umsonst ist dies auch nicht, aber als Dreingabe gibt es eine neue Frisur, was in jeder Krise ohnehin hilfreich wirkt.
Eine Frau und ihr Friseur, dies ist vielleicht die intimste Verbindung, die es gibt. Niemand sonst kennt die Sorgen und Nöte seiner Kundinnen so gut wie er.


Mittlerweile hat Heinz das Rentenalter längst überschritten. Ans Aufhören dachte er auch für kurze Zeit, aber jemand, der sein ganzes Leben für seine Arbeit brennt, ohne jemals Urlaub zu machen tut sich schwer mit solch einer Entscheidung. Es blieb vorläufig beim Kürzertreten, nur ist sein Terminbuch immer noch so gefüllt, dass auch dies nicht zur Durchführung kam. Zudem verlangen verschiedene Ämter bei Innung und Verbänden, sowie Schulungen und Lehrlingsausbildung immer noch seinen Einsatz.

Manche Menschen begleiten uns durchs ganze Leben und werden dabei so selbstverständlich, dass man nicht bemerkt, wie unersetzlich sie geworden sind.
Deshalb setze ich meinem Figaro hiermit ein kleines Denkmal, als besonderen Dank.





1 Kommentar :

  1. Eine gute gemeinsame Zeit bleibt gür immer Erinnerung👍 danke Bianca

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