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Sonntag, 5. Oktober 2014

Unfrisierte Erinnerungen Teil 3





In Karl-Marx-Stadt (oder Chemnitz) halten wir uns nicht mehr lange auf. Das nächste Ziel unseres Werbefeldzuges in den Osten ist Dresden. Die Perle Sachsens, die durch den Krieg ein schweres Erbe angetreten hat. Ich bin wirklich neugierig, was man uns vierzig Jahre vorenthalten hat.
Am späten Sonntag-Nachmittag erreichen wir Dresden.
Entlang der Elbe fahrend, eröffnet sich uns auf der gegenüberliegenden Seite der Blick auf die wunderbare barocke Silhouette der Stadt mit ihren alten Gaslaternen und den restaurierten Gebäuden.

In der Prager Straße sollen wir in einem Friseursalon für unseren nächsten Auftritt vorbereitet werden.
Was ist nur aus dieser einst prachtvollen Flaniermeile geworden? - Eine kahle Betonwüste!
Der Salon ist für diese exponierte Lage viel zu groß. Im Westen wäre die Miete unbezahlbar.
Wir nehmen Platz auf den Sesseln, einem Standartmodell, dem man hier überall begegnet. In der Luft liegt der leicht ätzende Duft von Dauerwell-Tinktur und auf den Frisiertischen stehen unbeschriftete Fläschchen mit toxisch anmutenden Flüssigkeiten in rot, gelb und blau. Haarfärbemittel. Glücklicherweise müssen wir nicht darauf zurückgreifen.
Der Besitzer ist äußerst stolz, uns bei sich empfangen zu dürfen. Er hofft auf einen Vertrag mit der Kosmetikfirma, die ihm den Salon modernisieren soll. (Nicht nur er wartet auf die versprochenen blühenden Landschaften.)

Dem Dresdener Publikum stellen wir uns am Abend im Hygiene-Museum vor.
Im weitesten Sinne bieten wir zwar auch Körperpflege an, aber im Museum...? Vom gläsernen Menschen, der dort stehen soll habe ich gehört. Auf Knopfdruck kann man die einzelnen Organe zum Leuchten bringen, aber wie will man uns dort in Szene setzen?
Tatsächlich gibt es auch noch einen großen Saal, in dem für uns ein langer Laufsteg aufgebaut wurde.
Vor ausverkauftem Haus, präsentieren wir nochmals internationales Friseur-Handwerk.
Voller Schwung, im Takt der Musik betrete ich solo den Laufsteg.
… zack – das Licht ist weg. Mich umgibt rabenschwarze Nacht. Wir haben es wohl geschafft, das Stromnetz zum Erliegen zu bringen. Hilflos und regungslos stehe ich da.
Doch man hat dort alles im Griff. Die Scheinwerfer sind wieder auf mich gerichtet und ich kann meinen Lauf beenden. Sogar ein extra Applaus wird mir zuteil, oder soll er den patenten Handwerkern gelten, die im Hintergrund das Malheur so schnell behoben haben?

Kein 'Lambada' zum Abschluss, dafür werden Geschenk-Sets, die einen Fön und Haarpflegemittel enthalten an einige Zuschauer in den vorderen Reihen verteilt.
Der Gedanke an eine Raubtierfütterung drängt sich auf, wie die Hände sich gierig nach den Plastik-Beuteln ausstrecken.
Auf diese Weise wird mit Sicherheit der falsche Eindruck vermittelt, im Westen sei alles im Überfluss vorhanden und große Geschenke werden einfach unters Volk geworfen. Dabei ist doch die einzige Bestrebung, in den Menschen, die noch nicht durch eine Werbe-Flut abgestumpft sind die Sehsucht nach dieser Marke zu wecken, der sie von nun an ein Leben lang die Treue halten sollen.
„Sitzt im Publikum eine Frau, die in nächster Zeit heiraten möchte?“
Sofort wird eine Hand nach oben gestreckt.
„Haben sie schon ein Brautkleid? Noch nicht? - Dann bekommen sie von uns eines geschenkt!“
Weinend vor Glück und unter tosendem Applaus nimmt die junge Frau den Traum in Weiß entgegen.

Zwei erfolgreiche, aber anstrengende Tage liegen hinter uns. Müde, aber immer noch angespannt fahren wir zu unserem Nachtquartier.
„Nach Bautzen!? - Das ist doch ein berüchtigtes Gefängnis!“
Was erwartet uns wohl heute?
Im Gefängnis landen wir nicht, dafür in einer von einem freundlichen Ehepaar privat geführten Pension mit beinahe westlichem Standard. Die absolute Krönung ist das kalte Buffet, das für uns aufgebaut wurde. Nach dem Entzug von kulinarischen Highlights stürzen wir uns auf belegte Wurst- und Käsebrote, Spreewälder Gurken, Eiern und, und, und...
Dazu Radeberger Pils, was auch die allgemeine Stimmung merklich steigen lässt. Das Wirts-Ehepaar bedient uns zuvorkommend, reserviert und etwas unsicher, ob man diesen verrückten Wessies wirklich trauen kann.
„Gibt's auch Rotkäppchen-Sekt hier?“ erkundigt sich Ralf und erzählt einen Witz nach dem anderen. Natürlich bekommen wir auch den gewünschten Sekt und Ralf lädt die Wirtsleute ein, sich zu uns an den Tisch zu setzen. Der Alkohol zeigt seine Wirkung und bald dürfen wir auch über Sachsen-Witze lachen.
Bis zur wirklichen Einheit ist es noch ein langer Weg, aber ein winziger Anfang ist gemacht.





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