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Montag, 12. Januar 2015

Nur Kleinkram









Wie geizig, engherzig ist die Erde eingeteilt, mit dem Himmel verglichen, der sich darüber wölbt.

Die Wolken fügen sich nicht eine Minute,
sie teilen sich nie ein,
sie beschränken sich nie auf ein einziges Bild,
sie verwandeln sich viel schneller, als jemand denken kann,
bald in Gebirge, bald in Fabeltiere;
einmal wachsen sie götterhaft, einmal wie Pflanzen.
Ihre Schatten jagen über den Kleinkram, der genau eingeteilt ist.


Anna Seghers


Donnerstag, 8. Januar 2015

Satire

Je grauenvoller eine Tat, desto höher der  Vermarktungswert.
Die Einzigen,  die keinen Nutzen daraus ziehen können, sind die Toten.

Dienstag, 6. Januar 2015

Stummer Schrei

Edvard Munk "Der Schrei"



Der runde Tisch - ein Symbol für Gleichstellung und Kommunikation. An diesem Tisch jedoch, bleibt jeder für sich und keiner spricht.
Der mit den langen Haaren und dem zerfurchten Gesicht, scheint auf seinem Stuhl eingeschlafen zu sein, er starrt nur vor sich hin. Die fette Frau mit den dunklen Schatten unter den Augen steht manchmal wortlos auf, um sich kurz danach wieder hinzusetzen. Ihr gegenüber, der ältere Mann, den man für einen Sachbearbeiter in einem Büro halten könnte, hat eine Notebook vor sich liegen und schiebt die Maus ruhig hin und her. Zwischendurch legt er mit sorgfältigen Bewegungen eine Diskette ein.
Alle scheinen ihre Umgebung überhaupt nicht wahrzunehmen. Nur ein großer, junger Araber spricht manchmal ein paar Worte, die ungehört verhallen. Er wirkt fremd in dieser Runde mit seinen schwarzen Haaren und dem orientalischen Einschlag.

Sobald einer von ihnen auf den Balkon nebenan geht, um eine Zigarette zu rauchen, kommt trotz dieser allgemeinen Langsamkeit etwas Bewegung in die Runde. Viel Platz bietet er nicht, dieser kleine Balkon, der wie ein Käfig komplett vergittert ist.
An der Eingangstüre dieser Abteilung hängt ein Schild mit der Aufschrift: „Psychiatrische Pflegestation“ und „Diese Türe ist heute leider geschlossen.“

Ein Ort der Stille, emotionslos, wie es scheint.
Die Emotionen dieser Patienten waren zuvor so groß und übermächtig, dass sie drohten, diese Menschen zu zerstören. Hier wird versucht, sie von diesen starken Gefühlen zu befreien. Jeder von ihnen stand vor einem Abgrund, in den er ohne fremde Hilfe gestürzt wäre.

Zwei Sanitäter bringen eine kleine alte Frau. Sie schreit und tobt, weil sich in ihren Vorstellungen die ganze Welt gegen sie verschworen hat. Einen solchen Ausbruch traut man dieser zierlichen Frau eigentlich nicht zu.
Was hat ihre Seele so zerstört, dass sie am Ende ihres Lebens solchen Qualen ausgesetzt ist?
Keiner am Tisch fühlt sich gestört durch diesen Zwischenfall. Bald kehrt auch wieder Ruhe ein. Sie wurde in denselben Zustand wie ihre Mitbewohner versetzt und ist nun in deren gleichförmigen Alltag eingebunden. Mit dem Unterschied, dass sie den Pflegern Geschichten aus ihrem Leben erzählt, da ihr sonst niemand zuhört.
Wer spricht kann überwinden, was die Seele quält.
Das malende Mädchen drückt dies in ihren Bildern aus. Ihr einziges Motiv sind bunte Blumen. Vielleicht träumt sie ja von einer fröhlichen, heilen Welt.
Die alte Frau freut sich beim Anblick dieser Bilder, die für sie auch eine heile Welt verkörpern.

Ein lauter Gong zerreißt die Stille. Das Zeichen, sich in die Schlange für die Essensausgabe einzureihen.
Folgsam stehen die unterschiedlichsten Menschen in einer Reihe, sie haben nur diesen leeren Gesichtsausdruck gemeinsam.
Die alte Frau steht immer noch an der Seite und meint:“Eigentlich habe ich keinen Hunger. Außerdem erinnern mich Menschen-Schlangen an den Krieg.“
Spontan tritt der große, junge Araber aus der Reihe und nimmt die alte, kleine Frau in den Arm. Über beide Gesichter huscht ein kurzes Lächeln, bevor sie die Eintönigkeit wieder ergreift.

Für einen kurzen Moment schien ein Stern aufgegangen, in dieser Dämmerung.

Jeder von ihnen hat die Chance auf auf ein zweites, vielleicht besseres Leben und die Möglichkeit, nach dieser Therapie nochmals ganz von vorne anzufangen.
Kein Leben verläuft gleichmäßig, bei manchen Menschen sind die Täler einfach tiefer.