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Sonntag, 12. Oktober 2014

Unfrisierte Erinnerungen Teil 2





Nach unserem unrühmlichen Abgang in Leipzig wird alles schnell zusammengepackt und im Bus verstaut, da wir noch am selben Abend weiterfahren. Nach Karl-Marx-Stadt oder Chemnitz, so genau weiß man das noch nicht. Die Entscheidung über den neuen, endgültigen Städtenamen steht noch aus.
Gegen Mitternacht kommen wir dort an, um im besten Hotel der Stadt zu übernachten. Auf dem Platz davor prangt ein monumentaler Kopf von Karl Marx, der mit versteinerter Miene geradeaus blickt, was höchstwahrscheinlich am Material liegt, aus dem er geschaffen ist.
Wie Johannes der Täufer nach der Enthauptung thront dieser Kopf auf einem Sockel. War nur sein Kopf von Bedeutung? Das Herz und was sonst noch eine Menschen ausmacht, ist zu vernachlässigen? Ich bin zu müde, um mir weitere Gedanken darüber zu machen.

Das Zimmer, welches ich mir mit einem anderen Model teile, erinnert mich an ein Kinder- oder Jugendzimmer. Die zwei Betten aus Pressspan stehen hintereinander und haben einen Umbau mit verschiedenen Fächern.
So schnell wie möglich ins Bett! Nur noch Waschen und Zähneputzen.
Das Bad! - In einem 1. Klasse Hotel hätte ich niemals erwartet, solch ein Bad vorzufinden.
Eine schwarz gekachelte Höhle, unterbrochen von komplett anders gestalteten Fliesen. Es wurde wohl eingebaut, was gerade aufzutreiben war.
Am Wasserhahn über dem Waschbecken hängt ein kleiner orangefarbener Gummischlauch. Zuletzt sah ich das bei meiner Großmutter auf dem Bauernhof über dem Spülstein.
Beim Blick in die Dusche, eröffnet sich mir eine fremde Welt. Die Mulde will man nicht unbedingt mit bloßen Füßen betreten und beim Blick nach oben, in Richtung des Duschkopfes, ragen von der Decke lange, schwarze Schlieren wie die Stalagmiten einer Tropfsteinhöhle.
Da stellt sich nun die Frage: Was ist hygienischer, sich in diese Tropfsteinhöhle zu stellen, oder ausnahmsweise nicht zu duschen. Ich entscheide mich für Letzteres.

Nach der morgendlichen Katzenwäsche und dem Frühstück soll es zu unserem nächsten Auftrittsort, einem sogenannten „Volkseigenen Betrieb“ gehen. Das „Management“ ist mit dem Bus bereits vorausgefahren. Wir Modelle werden von Ralf in einem nahegelegenen Friseursalon für den Auftritt vorbereitet. Zurück im Hotel bittet er die Dame an der Rezeption, uns ein Taxi zu rufen.
Mehrmals, und mittlerweile ziemlich nervös, weil ohne Erfolg, dreht sie an der Wählscheibe ihres roten Telefons.
„Mit einem roten Telefon kommt man bei uns direkt zu Gorbatschow und hier reicht die Verbindung nicht mal bis zum nächsten Taxistand!“ meint Ralf nun doch etwas ungeduldig.
Der jungen Frau steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben: “Es ist Sonntag und bei uns ist heute Jugendweihe, da sind alle Taxis ausgebucht.“
Irgendwann steht dann doch ein „Wartburg“ vor dem Eingang. Für vier Fahrgäste wird es ziemlich eng, aber sowohl für den Fahrer, als auch für uns wird die Fahrt ein heiteres Erlebnis.
Im „VEB“ bekommen wir in der Kantine ein Mittagessen serviert, bei dessen Anblick das Wort Sättigungsbeilage eine eigene Bedeutung erhält.

Vielleicht liegt es an der Tageszeit, oder an der Lokalität, oder auch an der Jugendweihe, dass die Zuschauer an diesem Nachmittag nicht so zahlreich erscheinen, wie am Abend zuvor.
Zwischen dieser Stadt und uns will ein Sympathiefluss noch nicht ungehindert strömen.


Dritter und letzter Teil im Anschluß!


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