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Dienstag, 13. September 2016

DIFFUSE ÄNGSTE





Es ist Samstag Morgen, zehn Uhr in der Damenabteilung eines Kaufhauses.

Zielsicher steuert ein Ehepaar, beide schätzungsweise Mittfünfziger, eine bestimmte Modemarke an.
Die Dame will sich ein neues Outfit für den Herbst zusammenstellen lassen. Zu diesem Anlass wohl, hat sie sich die Haare, die in einem rotbraunen Palisander-Ton glänzen, zu einem akkuraten Pagenkopf legen lassen.

Ihr wohlgenährter Ehemann, der in sein rotes Gesicht ein breites Grinsen gesetzt hat, scheint mit seinem weltmännischen Auftreten den Eindruck von Erfolg und Geld vermitteln zu wollen. - Wahrer Geldadel zeichnet sich durch eine gewisse Nonchalance aus.

Während sich eine Kollegin um die Frau kümmert, wendet er sich an mich in Erwartung meiner Bewunderung:
„Wir sind heute morgen schon die 35 km von Kirchberg hergefahren …!“
Unbeeindruckt erwidere ich, dass ich morgens dieselbe Strecke zurückgelegt habe, um an meinen Arbeitsplatz zu kommen.
Mehr erfreut darüber, aus demselben Ort zu stammen als erstaunt, dass ich dieses weite Reise regelmäßig auf mich nehme, nimmt er an, ich würde diese Distanz mit Sicherheit im Auto überbrücken.
„Ich fahre immer S-Bahn ...“ erwidere ich lapidar.

Aus dem Hintergrund macht sich plötzlich die Frau bemerkbar und als hätte ich etwas Unmoralisches geäußert, ruft sie dazwischen:
„Ich würde NIE mit der S-Bahn fahren!“
Sofort wendet sie sich wieder Hosen und Pullovern zu, während meine Kollegin sich mit großem Eifer bemüht, ihren etwas „extravaganten“ Geschmack zu befriedigen.
„Die Bahn war heute morgen, am Samstag sicherlich nicht sehr voll“, versucht mich der Herr wieder in ein Gespräch zu verwickeln. Dies kann ich nun bestätigen und suche eine Möglichkeit zur Flucht, was bei mangelnder Kundenfrequenz um diese Uhrzeit nicht ohne Weiteres möglich ist.

„Zu anderen Zeiten wird man sicherlich oft belästigt, das ist doch bestimmt unangenehm.“
In dieser Hinsicht kann ich ihn beruhigen und stelle nur fest, sollte samstags der heimische Fußballverein gespielt haben, oder während der Volksfestzeit, ist eine Bahnfahrt alles andere als lustig.
„Weil manche dann aufdringlich werden?“
„Nein, wegen des Alkoholdunstes und der laut grölenden Fans“, erwidere ich nun doch in einem leicht gereizten Unterton. „Auch spät in der Nacht hatte ich noch nie Probleme. Die Züge sind voll und man trifft auch viel elegantes Theaterpublikum.“
Mich trifft ein verständnisloser Blick, aber ich will mich nicht auf etwas festnageln lassen, nur um irgendwelche Vorurteile zu befriedigen. Ist denn niemand in der Nähe, um mich aus dieser unangenehmen Situation zu befreien?

Einige Zeit später sehe ich sie zufrieden und mit einer großen Tüte von dannen ziehen. In ihrer Wohlstandskarosse, abgeschirmt von der bösen Welt, die draußen überall lauert kehren sie zurück in ihr sicheres Nest.

Hinter dem Gartenzaun beginnt das Abenteuer und nur, wenn man sich dem ab und zu stellt, sieht man die reale Welt.



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