Wo finde ich
Zeitungsartikel für eine Recherche über ein bestimmtes Gasthaus
anno 1914? Möglicherweise im Archiv meiner Heimatstadt.
Untergebracht ist es
in einem unscheinbaren Gebäude zwischen historischen Bauwerken.
Nach dem Öffnen der
Eingangstüre fühle ich mich augenblicklich in das Haus meiner
Großmutter versetzt. Von einem düsteren Gang aus, kommt man in
verschiedene Räume, die öffentlich genutzt werden.
Gleich links führt
eine viertelgewendelte Holztreppe in das nächste Stockwerk zum
Archiv. Beim Betreten der knarrenden, mit Linoleum belegten Stufen,
und beim Berühren, des glatt polierten Holzhandlaufes, überkommt
mich das Gefühl, eine Zeitreise in die Anfänge des letzten
Jahrhunderts anzutreten.
Räume, die den
Eindruck erwecken, einst als Wohnung gedient zu haben, in denen die
Wände ringsum bis unter die Decke mit Büchern und Ordnern
vollgestellt sind. In der Mitte des größeren Raumes sitzt ein alter
Herr im schwarzen Anzug an einem Tisch und macht sich Notizen aus
einem Buch.
Seitlich, fast
zwischen den Büchern verborgen sucht ein älterer Mann Informationen
an einem Bildschirm,- ein Mikrofilm-Betrachter wie es scheint.
Wenigstens ein Gegenstand, der mich daran erinnert, dass ich mich in
der Gegenwart befinde.
Eine
Verwaltungs-Angestellte versorgt mich im Nebenraum mit dem
gewünschten Informations-Material in einem Leitz-Ordner. Damit setze
ich mich neben den alten Herrn an den Tisch.
"Meinen
Schülern in der Oberstufe habe ich immer gesagt, es ist wichtig zu
wissen, wo man nachschlagen kann." erklärt er dem Mann am
Betrachter.
Für einen Moment
werde ich ganz hellhörig und vergesse, in meinem Zeitungsartikel
weiterzulesen. Ich frage ihn nach seinem Namen und ob er an der
hiesigen Schule Lehrer gewesen sei. Bei der Nennung seines Namens
fühle ich mich sofort wieder in die Vergangenheit versetzt.
Dreizehnjährig sitze ich im Klassenzimmer. Vor mir ein Lehrer, den ich altersmäßig nicht richtig einschätzen kann. Selbstgerecht und humorlos versucht er Wissen zu vermitteln und mit geringem Interesse wird es kurzfristig gespeichert, da von der korrekten Wiedergabe immerhin die eigene Zukunft abhängt.
Überrascht erkläre
ich ihm, dass ich vor über vierzig Jahren seine Schülerin war. -
Nur ein flüchtiger, abschätzender Blick, der für einen kurzen
Moment Ratlosigkeit erkennen lässt, und kommentarlos fährt er fort
sich ausschweifend über die Bausünden der letzten Jahrzehnte
auszulassen. 81 sei er inzwischen und durch einen Schlaganfall
linksseitig gelähmt, bemerkt er noch im Hinausgehen.
Seltsam, meine
Zukunft konnte er in keiner Weise beeinflussen, und von dem ganzen
übertragenen Wissen ist vielleicht nur geblieben, dass ich heute
hier sitze und weiß, wo ich etwas nachschlagen kann.
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