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Dienstag, 5. Dezember 2017
EIN WINTERMÄRCHEN
Die Landschaft wirkt wie verzaubert. Anfang Dezember 1958 ist sie schon mit einer dicken Schneedecke überzogen.
„Nachher fahre ich auf die Alb, Lucie. Ich nehm' dich mit, aber zieh dich warm an, es ist sehr kalt draußen!“
Die fünfjährige Lucie steht schon kurz darauf in Mantel, Schal und Mütze da, gespannt auf den Ausflug mit ihrem Papa.
„Vergiss nicht, deinen Wunschzettel mitzunehmen! Unterwegs halten wir am Nikolaus-Häuschen und danach besuchen wir Hänsel und Gretel!“
Papa kennt die schönsten Märchen und heute soll sie eines in Wirklichkeit erleben!
„Der Nikolaus ist doch so ein armer, alter Mann, und immer muss er frieren in seiner Hütte. - Weißt du was, wir legen ihm zusammen mit deinem Wunschzettel ein paar warme Socken und ein Butterbrot ans Fenster!“
Lucie kann es kaum erwarten, bis es endlich losgeht.
Im letzten Jahr, ist sie dem Nikolaus zum ersten Mal begegnet, als er sie zuhause, mit einem großen Sack voller Geschenke besucht hat .
Mit einem Glöckchen klingelte er an der Haustüre, um eingelassen zu werden. Mama öffnete ihm und führte ihn ins Wohnzimmer, wo er in einem tiefen Sessel Platz nehmen durfte.
An den alten Mann mit dem langen, zottigen Bart kann sich Lucie noch sehr gut erinnern.
Ein wenig unheimlich war ihr diese seltsame Gestalt, die mit der roten Nase und den roten Backen ganz verfroren aussah. Obwohl zwischen dem ausladenden Bart vom Gesicht kaum etwas zu erkennen war.
Sein Mantel schien ziemlich abgewetzt und wurde nur mit einer Schnur um den Bauch zusammengehalten. Auf dem Kopf trug er eine weiße Mütze, die aussah, wie eine Haube aus Schnee, und um die Schuhe hatte er sich Lumpen gewickelt.
Durch den verschneiten Wald fahren sie mit dem Auto die Steige hoch. Die Schneeberge rechts und links der Fahrbahn werden immer größer, je höher sie kommen. Auf halben Weg erreichen sie endlich das Nikolaus-Häuschen.
Es ist ein winziges Holzhaus, mit einer niedrigen Tür und einem kleinen Fenster. Daneben ist ein Schuppen angebaut, nur halb so hoch, wie das Häuschen.
Es ist ganz still im Wald. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Papa klopft an die Türe, aber drinnen regt sich nichts. Lucie ist schrecklich aufgeregt und ein bisschen ängstlich, dass der Nikolaus plötzlich die Türe aufmachen und vor ihr stehen könnte. Aber er scheint unterwegs zu sein.
„Vielleicht ist er dabei, Geschenke an Kinder zu verteilen“, wird sie von Papa getröstet.
Ganz leise und andächtig legt Lucie ihren Wunschzettel, das in Papier eingewickelte Butterbrot und ein Paar warme Socken, die Papa nicht mehr braucht am Fensterbrett ab.
„Vielleicht hat er seinen Schlitten dagelassen. Sehen wir mal nach!“ und tatsächlich steht im Schuppen ein Holzschlitten.
„Sicherlich holt er seine Rehe, um sie vor den Schlitten zu spannen. Gehen wir lieber, bevor er zurückkommt!“
Weiter geht es auf die Alb-Hochfläche zu Hänsel und Gretel.
Zur großen Erleichterung von Lucie sind es nicht die Geschwister, die von ihren Eltern im Wald ausgesetzt wurden. Auch eine Hexe sieht man nirgendwo.
Hans und Grete sind die Kinder der Wirtsleute in einem Gasthaus. Es gibt dort Würstchen mit Brot und während Lucie nach diesem aufregenden Tag mit großem Appetit isst, erzählt sie Hans und Grete, wie sie den Nikolaus besuchen wollte. Gesättigt spielen alle drei Kinder ausgelassen rund um die Tische Fangen. Wochentags sind kaum Leute in der Wirtsstube, deshalb stört es niemanden, wenn die Kinder fröhlich herumtoben.
Draußen ist schon tiefe Nacht, als Lucie und ihr Papa den Heimweg antreten. Mit dem Auto geht es jetzt die Steige abwärts.
„Guck mal Lucie, am Straßenrand stehen lauter kleine Wichtel mit ihren Laternen und zeigen uns den Weg, damit wir uns nicht im Wald verirren!“
Lucie fühlt sich behütet, von ihrem Papa, dem Nikolaus und den kleinen Wichteln. Glücklich und zufrieden lehnt sie sich zurück und sieht durchs Fenster in den verschneiten Wald.
Nicht lange wird es dauern, bis sie entdeckt, dass die Wichtel einfache Leuchtpfosten am Straßenrand waren, und das Nikolaus-Häuschen der Straßenwacht gehört. Zufällig stand ein Schlitten darin, und vielleicht hat sich ein Straßenwärter über die Socken und das Butterbrot gefreut.
Den Nikolaus hat ihr Papa, bekleidet mit einem alten Wehrmachts-Mantel gespielt, noch bevor die bunte Welt von Coca-Cola Einzug hielt.
Kinder brauchen eine Welt der Märchen und der Mystik, in der sie sich von guten Wesen beschützt fühlen.
Der Zauber hält ein Leben lang, auch wenn die schützende Hand nicht mehr da ist und man sich wie Aschenputtel mit einer Schale Erbsen in einer Ecke wiederfindet. Dann hofft man auf die gute Fee oder eine Schar Tauben, die den Weg ins Glück zeigen.
Sonntag, 16. Juli 2017
RUHESTAND
Er sei wohlverdient,der Ruhestand, hört man oft, was auf ein langes Arbeitsleben im Hamsterrad der Geldmaschinerie durchaus zutrifft.
Teilweise wird auch die Zeit bis zur Rente oder Pensionierung auf dem zwangsläufig immer breiter werdenden Hintern einfach nur abgesessen.
Aber wie gestaltet man die neu erworbene Freiheit?
Den Traum vom Reisen um den Globus, können sich gesundheitlich und finanziell nur wenige erlauben, deshalb sieht man als Alternative überall Rentner in gedecktem Beige stöckelnd die nähere Umgebung erkunden.
Für mich kam dieser Lebensabschnitt etwas früher, als ursprünglich geplant, weshalb ich diesbezüglich auch keine großen Pläne geschmiedet habe.
Vorerst genieße ich es noch, mir die Tage nach Lust und Laune einteilen zu können. Zwar habe ich mir eine gewisse Struktur auferlegt, aber falls ich morgens doch mal länger schlafen sollte, meckert nur mein Fitness-Tracker: „Sie sind heute nicht sehr aktiv!“
Bewegung entfernt den Rost aus den Gelenken. Mit diesem Wissen werde ich normalerweise selbst aktiv. Ansonsten können alle Hähne so lange krähen, wie sie wollen, ich werde nirgendwo erwartet.
Nach nur einem halben Jahr, verspüre ich allerdings eine geistige und kreative Verstopfung. Diese Unterforderung versuche ich mit Lesen auszugleichen.
Zugegeben, dies ist ein Luxusproblem, wenn ich sehe, wie sich andere schinden: Ein 69jähriger saniert noch kniend Flachdächer, oder ganz Alte mit leichter Gehbehinderung tragen sonntags Zeitungen und Prospekte aus. Mühsam ziehen sie den Wagen der Verteilerfirma hinter sich her, wo früher Schüler auf ihren Inlinern durch die Gegend flitzten, um ihr Taschengeld aufzubessern.
Die Möglichkeit, farblose Klamotten farblosen Menschen zu verkaufen, ist für mich keine Option. Die Gefahr, in eine Depression zu verfallen ist nicht auszuschließen.
Alternativ drängt sich das Internet mit Jobs unter dem Slogan „Verkaufe Produkte von zu Hause!“ richtiggehend auf. Wo früher in Heimarbeit Kugelschreiber zusammengeschraubt wurden, vertreibt man heute Waren anspruchsvoller über Social Media.
Man stelle sich vor, wie ich mich bisher mit meinen Facebook-Freunden über soziale Themen unterhalten habe und plötzliche versuche ich sie davon zu überzeugen, dass ihr Glück von einem bestimmten Nagellack abhängt.
Statt einer Provision hätte ich sehr schnell weniger Kontakte.
Wer uns als Zielgruppe mit zunehmendem Interesse verfolgt, ist die Werbung. Aufgewachsen mit Frau Clementine und HB-Männchen, werden wir durch die neue Werbeflut eher immunisiert, als zum Kauf angeregt. Deshalb locken verschiedene Institute mit gezielten Meinungsumfragen, die mit kleinen Geschenken honoriert werden, um herauszufinden, mit welchen Mitteln man uns doch noch um unser Erspartes bringen kann.
Eine geistige Herausforderung wäre ein Trend, der momentan ein begeistertes Publikum findet: Die Autobiographie. - Eine Art Big Brother für Intellektuelle.
Besteht wirklich ein Interesse an solch einer seelischen Diarrhoe?
Soll ich tatsächlich nochmals in alle Niederungen hinabsteigen und sie ein zweites Mal durchleben?
Vielleicht wäre es besser, die Vergangenheit zu einem Bündel zu verknoten und anzuzünden.
Morgen mach' ich mir weitere Gedanken.
Jetzt mit einem Cocktail im Liegestuhl zu sitzen und die Seele baumeln zu lassen, kann nicht schaden. Morgen ist auch noch ein Tag.
Freitag, 9. Juni 2017
WolfsMensch
In nächtlichen Streifzügen, auf der Suche nach Isolation, der misanthropische Wolf.
Von roher Natur und in unbezähmbarar Wildheit, lebt er in seiner dunklen Welt.
Sympathisch, feingeistig und sensibel, dazu sentimental ewig in der Jugend verhaftet,
der Mensch, das andere Ich.
Zwei Seelen, vereint in einem Körper.
Wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde in fortwährendem Kampf.
Der hassende Wolf und die empfindsame Menschenseele.
Ein leidendes Wesen, am Leben ermüdet.
Sonntag, 12. Februar 2017
NACHKRIEGSKINDER
Die Dunkelheit dieser Nacht
legt sich über Generationen.
Gefangen in der Familienburg.
Wir wandern alle im Kreis.
Hinter hohen Mauern aus Angst.
Es gibt kein Entrinnen.
Nirgendwohin.
Kälte dringt durchs Fleisch.
Setzt Brandherde im Körper.
Schuld haben die falschen Gefühle.
Wer ist Mutter, wer ist Kind?
Jeder schweigt.
Nur die Aggressionen werden laut in dieser Enge.
Einer frißt den Anderen.
Das Foto zeigt einen handschriftlichen Eintrag meiner Mutter in ein Buch, das ich erst aufgrund meiner Recherchen für meinen Roman WARTEN AUF LOHENGRIN entdeckt habe.
Wie erging es der Nachkriegsgeneration? Befasst hat sich mit dieser Frage Sabine Bode in ihrem Buch "Nachkriegskinder".
Ich will nur ein paar spontane Gedanken dazu beitragen. Man schweigt.
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